Das Internet und die sozialen Medien haben eine beispiellose Vernetzung der Welt ermöglicht. Der Kontakt über tausende Kilometer, die Befragung tausender Follower, die Interaktion in kleinen und großen Communitys – all das ist mit wenigen Klicks nahezu in Echtzeit möglich. Dies birgt ein unglaubliches Potential, doch wird das aktuell genutzt? In den sozialen Medien verbringt man die meiste Zeit in algorithmisch gesteuerten Resonanzräumen des eigenen Weltbildes. Ein echter Diskurs wird vermieden – er ist schlecht für die Verweildauer in den Netzwerken und somit schlecht für die Werbeeinnahmen. Meinungen werden so verstärkt, Fronten verhärtet und die Auswirkungen auf die Demokratie sind fundamental. Echokammern der eigenen Meinung verstärken politische Polarisierung und das demokratisierende Potential des Internets wird somit nicht nur nicht genutzt, die Funktionsweisen stehen einem konsensualen Diskurs diametral gegenüber. So wird aus zukunftsweisender Technologie schnell ein Treiber für gesellschaftliche Spaltung. Doch die Potentiale können auch anders genutzt werden. Wir können über die Blockchain neue Governance-Formen erreichen, die Transparenz und Integrität gewährleisten. Die Blockchain bietet Lösungen im Corporate und Public Governance. Denn die Corona Pandemie hat gezeigt, dass wir digitale Lösungen für integre Wahlen brauchen.
"Evolution of Democracy: E-Voting, Governance and Blockchain" damit haben sich Max Emanuel Schwarzer, Doktorand an der TU Dortmund und IT Research & Development bei DACHSER SE, Kristian Borkert, Gründer von JURIBO legal & consulting und Co-Autor der Blockchain Strategie für das Land Baden-Württemberg, und Zoltan Fazekas, Leiter des Blockchain Lab bei der iteratec GmbH, Mitglied des Bloxberg network sowie Initiator von DecentraVote, bei der dritten BLOCKCHANCE Online LIVE Show beschäftigt. Die Initiatoren haben auch dieses Mal die Schlüsselargumente und Erkenntnisse der Diskussion zusammengefasst, um – ganz im Sinne einer kollaborativen Intelligenz – eine Debatte über die Veranstaltung hinaus zu ermöglichen. Hamburg@work ist begeistert von dieser Idee und lädt ebenfalls zum mit- und weiterdenken ein.
Übersetzt aus dem Englischen, den Originaltext findest du auf dem BLOCKCHANCE Blog.
Die Digitalisierung von Corporate Governance
Hauptversammlungen sind, als Treffen der Shareholder, das höchste Entscheidungsgremium im Corporate Governance. Jedoch ist ihre Durchführung in Zeiten einer Pandemie und damit einhergehenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit nicht möglich. Bietet dies eine Chance für eine Digitalisierung der Corporate Governance?
Zu Beginn der Pandemie wären digitale Hauptversammlungen schwer vorstellbar gewesen. Doch Gesetzgeber haben in Deutschland und anderen Ländern bereits Gesetzesänderungen vorgenommen, die elektronische Wahlverfahren erlauben. Nun gibt es bereits länger simpelste digitale Abstimmungsverfahren. Doch Wahlen im Corporate Governance müssen die gleichen Standards erfüllen wie öffentliche Wahlen. Um Vertrauen in digitale Abstimmungsverfahren zu gewährleisten müssen diese transparent, fälschungssicher und unbeeinflussbar sein. In der Theorie kann ein Wahlsystem basierend auf Distributed Ledger Technologie genau dies gewährleisten und somit die Integrität und Sicherheit einer Wahl sicherstellen. Natürlich ist hierbei aber das Design des Wahlsystems entscheidend. Es müssen alle relevanten Anforderungen in der Konzeption berücksichtigt werden.
Denn eine Wahl muss noch ein fundamentales Attribut beinhalten - sie muss geheim bzw. anonym sein. Steht dieser Anspruch der Funktionalität der Blockchain nicht diametral gegenüber?
Der Zero-Knowledge Proof
Nein, denn es gibt verschiedene Wege Anonymität über die Blockchain abzubilden. Einer der wichtigsten ist der sogenannte Zero-Knowledge-Proof. Hierbei wird - vereinfacht gesagt - zur Authentifizierung der wahlberechtigten Person nicht seine tatsächliche Identität gespeichert sondern über Smart Contracts nur der Beweis (“Proof”), dass es tatsächlich eine wahlberechtigte Person ist. Es wird quasi nur der Beweis des Wissens oder in diesem Fall der Identität, nicht aber die tatsächliche Information, also in diesem Fall ein Name, gespeichert. Ist der Proof korrekt würde ein Blockchain Account erstellt werden, mit dem dann eine Stimme abgegeben werden kann.
Die Stimme kommt so direkt auf die Blockchain und wird dort von einem Smart Contract gezählt. Dadurch entfällt ein Intermediär, der üblicherweise gegen Versuche von Einflussnahme geschützt werden müsste. Eine Wahl wird so vertrauensvoller und sicherer.
Datenspeicherung auf der Blockchain
Wichtige Daten, insbesondere persönliche Informationen werden nicht direkt auf der Blockchain, also “On-Chain” gespeichert. On-Chain wird nur der Zugriff auf die Daten reguliert. Dafür wird auf der Blockchain ein Hash gespeichert. Der Hash ist eine Art Prüfsumme die über die Hashfunktion erzeugt wird. Die Hashfunktion gewährleistet, dass jedem Eingabewert ein eindeutiger Ausgabewert zugeordnet wird. Der Hash kann im Prinzip als mathematisches Pendant zum Fingerabdruck bezeichnen. Über den Hash regulieren nun Smart Contracts den Zugriff auf Textdateien (bspw. die Namen der Kandidaten), die wiederum in dezentralen Speichernetzwerken liegen. Die Kandidatenlisten sind dann nur für authentifizierte Wähler zugänglich und können nicht verändert werden, da der Hash On-Chain gespeichert ist.
Bundestagswahl “On-Chain”?
Das ist aktuell wohl noch Zukunftsmusik. Ein Wahl in der Größenordnung bedarf eines skalierbaren Systems, einer benutzerfreundlichen Oberfläche und vor allem einen entsprechenden rechtlichen Rahmen. All dies ist mit den aktuell im Markt befindlichen Lösungen wohl noch nicht möglich. Aber - und das ist das wichtigste Wort - es ist noch (!) nicht möglich. Die Vorstellung, wie eine Blockchain basierte Wahl aussehen kann ist da und sie ist realisierbar. Die Vorteile sind enorm und es könnte auf eine vergleichsweise simple Art und Weise ein Wahlsystem geschaffen werden, dass sich keinen Vorwürfen des Betrugs mehr entgegen sehen müsste, ein Prozess der systemische Integrität garantiert und der transparent und einfach Wahlen ermöglicht, deren Ausgang mit dem Ende der Stimmabgabe feststeht (und nicht erst Wochen später).
Um dorthin zu gelangen, müssen wir jedoch kleiner beginnen, frei nach dem Motto “Think big but start small”. Es gibt bereits ausreichende Anwendungsszenarien, beispielsweise in Vereinen oder kleineren Unternehmen, bei denen wir dezentrale Wahlsysteme testen und anschließend graduell an die Bedürfnisse größerer Wahlen anzupassen. Entscheidend ist hierbei, die wichtigsten Anforderungen an eine Wahl - Integrität, Transparenz und Sicherheit - immer als Grundlage zu berücksichtigen.
Und am Ende ist noch ein Thema von größter Relevanz: Blockchain basierte Wahlsysteme benötigen eine politische Legitimierung. Es muss ein politisches und gesellschaftliches Commitment geben, solche Lösungen zu fördern und an einem integren Wahlsystem zu arbeiten.
Die Blockchain als technologische Grundlage für sichere Wahlen
Die Blockchain ist aktuell noch nicht in der Lage beispielsweise die deutsche Bundestagswahl abzubilden. Aber Vorstandsentlastungen auf Hauptversammlungen oder Wahlen in Vereinen sind bereits jetzt möglich. Die Anwendungen und Lösungen, die durch die Blockchain möglich sind, können uns eine neue Ära des Vertrauens bringen. In der weniger über die Prozesse, denn über die Inhalte von Wahlen gestritten wird. Und in dem das System in sich Integrität und Vertrauen garantiert. Um dies zu erreichen müssen aber einige entscheidende Fragen geklärt sein: Über welches Verfahren gewährleistet man Anonymität der Wähler? Wie garantiert man, dass nur wahlberechtigte Personen abstimmen? Wie werden die Stimmen gezählt? Wie schützt man die Wahlen vor Angriffen? Das alles sind Fragen, die aktuelle Lösungen teilweise vor Probleme stellen, doch die Zukunft wird zeigen: die Blockchain ist eine Technologie, die die Demokratie stärken wird.
BLOCKCHANCE ONLINE LIVE ist eine monatlich online ausgestrahlte Talkshow, die Branchenführer und innovative Referenten zusammenbringt, um neue Ideen und Konzepte zu Blockchain, KI und nachhaltigen Zukunftstechnologien zu diskutieren.
Den vollständigen Mitschnitt der Online-Diskussion zum Thema „Evolution of Democracy: E-Voting, Governance and Blockchain“ findest du hier auf YouTube.