Matthias Steffen berät Unternehmen aus der Gesundheitswirtschaft, wie z.B. Asklepios, Almirall, Merck aber auch Ministerien wie z.B. das Auswärtige Amt. Seine unternehmerischen Erfahrungen liegen in den Bereich Software Entwicklung und integrierter Kommunikation. Er ist in zahlreichen Verbänden tätig, wie dem BitKom, KI-Verband, BIM – Bundesverband Internet Medizin uva. Im Jahre 2016 rief er den Medical App Award ins Leben.
2017 gründete er die FUSE-AI GmbH mit drei weiteren Wissenschaftlern. Als Investor konnte das Schweizer Unternehmen XLife Sciences AG gewonnen werden. Im Jahre 2019 wurde er in den Vorstand des Life Science Nord e.V. gewählt. In regelmässigen Abständen trägt er zu Themen „KI und Medizin” auf Kongressen vor (z.B. Gesundheitswirtschaftskongress Hamburg) und entwickelt so das Netzwerk von FUSE-AI weiter.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Herr Matthias Steffen, woran arbeiten Sie?
Matthias Steffen: Wir konservieren das Wissen der Chefärzte mit unserer AI-Software. Chefärzte gehen mit 65 Jahren in den Ruhestand und nehmen ihr Wissen mit. Sie haben es vielleicht ihren Assistenzärzten übergeben. Aber natürlich dauert es länger, bis diese die vollen Fähigkeiten eines alten Hasen erreicht haben. Unser Ziel ist, dass die jüngeren, nachwachsenden Ärzte von diesem Wissen der alten Chefärzte profitieren können.
Und: Wir wollen, dass die Ärzte bei der Befundung eine Unterstützung erhalten. Man muss sich vorstellen, dass ein Radiologe den ganzen Tag an einem Bildschirm sitzt und nur Schwarz-Weiß-Bilder sieht. Eine multiparametrische MRT kann bis zu 2000 Schnitte haben, durch die er mit seiner Maus durchscrollen muss. In diesen vielen Grauwerten muss er die Läsionen und die suspekten Areale erkennen und diese Ergebnisse dann dem Urologen übermitteln. Dafür ist es sehr hilfreich, wenn er einen Hinweis bekommt, in welchem Slide eine Läsion zu erkennen oder zu vermuten ist. In anderen Worten: Es geht dabei darum, Netze zu trainieren mit dem Wissen der erfahrenen Ärzte. Das machen wir mit von den erfahrenen Ärzten vorannotierten Daten.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Herr Matthias Steffen, welches ist das spannendste aktuelle Projekt, an dem Sie arbeiten?
Matthias Steffen: Speziell im Healthcare-Bereich konzentrieren wir uns auf das Thema Prostata. Das nächste Thema, das sehr spannend ist, ist Genetik. Wie können wir in der Genetik AI einsetzen? Das menschliche Genom ist ja mittlerweile analysiert, aber was bedeutet das in der personalisierten Medizin? Was kann Künstliche Intelligenz hier leisten? Das ist eine ganz wichtige Fragestellung. Gerade ist der Nobelpreis für Medizin an die Entdeckerinnen der Genschere Crispr/Cas9 vergeben worden. Das ist ein riesiges Zukunftsfeld. Wir haben vor kurzem eine Arbeitsgruppe mit Wissenschaftlern aus diesem Bereich gegründet, um zum Thema Demenz zu forschen. Wir wollen wissen, welche genetischen und gesundheitlichen Parameter beachtet werden müssen, um eine Vorhersage machen zu können, wann einem Menschen Demenz droht. Wir wollen diese Vorhersage vor der Stunde Null machen, wenn die Demenz eintritt, damit man vorbeugend Medikamente geben kann. Das Thema Vorhersage interessiert uns auch generell. Stellen sie sich vor, sie kommen aus dem Skiurlaub und als Hamburger sind sie nicht ganz so gelenkig und haben sich Knie oder Oberschenkel gebrochen. Der Arzt kann bisher nicht wissen, wie sich in ihrem speziellen Fall der Heilungsverlauf darstellen wird. Ein normaler Bruch ist bei einem guten Verlauf nach 4-6 Wochen schon gut verheilt. Bei einem schlechten Verlauf kann es ein halbes bis zu einem ganzen Jahr dauern. Mit AI könnte man erklären, mit welchem Risiko sich ein Bruch schlecht entwickeln oder eben gut entwickeln wird, weil man das neuronale Netz mit vielen vergangenen Fällen trainiert hat.
Die Vorhersage ist das zentrale Thema neben der Bilderkennung. Im konkreten Fall könnten wir mit Künstlicher Intelligenz nach der MRT oder CT eine Vorhersage geben, wie sich der Bruch entwickeln wird. Wenn die Ärzte das schon vorher wüssten, dann wird das sehr interessant für die Behandlung und Therapie, die dann ganz anders aussehen kann. Mit so einer besseren/trefflichen Vorhersage würde die Therapie deutlich effektiver sein. Das könnte neben dem gesundheitlichen Vorteil auch einen Kostenvorteil für die Krankenkassen bedeuten.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Quasi ein Deus ex Machina dank dem Wissen der alten Ärzte? Wie konservieren Sie denn das Wissen der alten Ärzte?
Matthias Steffen: Wir brauchen für die AI annotiertes, also gelabeltes Material von den Radiologen, denn nur damit lernt unser System. Wir sagen deshalb den Ärzten, dass sie eine sehr genaue Befundung für uns machen sollen. Dafür müssen sie das Organ im Bild genau umzeichnen. Diesen Befund nennen wir die Ground Truth, die Grundwahrheit. Wir müssen davon ausgehen, dass das, was der Chefarzt einzeichnet, die beste dafür mögliche Kennzeichnung ist. Auch die eventuell dort entdeckte Läsion, also das Krebsgeschwür, muss sehr genau umzeichnet werden. Im Alltag macht ein Arzt das normalerweise nicht so detailliert. Wir können also sehr sicher sein, gute Daten zu haben.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: So mancher alte Hase lernt dann noch von Ihnen, wie gut er wirklich ist?
Matthias Steffen: Das würden wir uns nicht anmaßen. Aber wenn sie regelmäßig rund 500 Fälle haben, die sie von Radiologen bekommen und damit ihr Netz trainieren, dann werden sie immer besser sein als der beste Radiologe, weil wir ja auch immer wieder neu trainieren. In unserer Arbeit haben wir ebenso gesehen, wieviel die Erfahrung in der Radiologie ausmacht. Das ermutigt uns zu sagen, dass wir dank der mit den Daten der alten Chefärzte trainierten Künstlichen Intelligenz auch zur medizinische Qualität der Arbeit der jüngeren Radiologen beitragen können.
Der Prozess geht von der Radiologie bis zur Urologie. Es wird die Zeit kommen, dass die multiparametrischen Daten dazu geeignet sind, virtuelle 3D-Organe zu bilden, also digital nachgebildete Zwillinge von Organen. Das wird dann für die Planung und zielgenaue Biopsie des Organs genutzt.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Was ist das Besondere in der medizinischen Anwendung von AI?
Matthias Steffen: In der Medizin arbeiten wir in den Prozessen für Forschung und Entwicklung nicht viel anders als diejenigen, die zum Beispiel im Bereich Logistik arbeiten. Bei unseren medizinischen Anwendungen ist natürlich die Nachvollziehbarkeit unserer Ergebnisse besonders wichtig. Der TÜV Süd, TÜV Nord, oder eine andere benannte Stelle (staatlich benannte und überwachte Stellen, die für Hersteller prüfen, Anm. d. Red.) oder die FDA in den Vereinigten Staaten überprüfen die Ergebnisse unserer Netze. Hier müssen wir, anders als in der Logistik oder anderen Branchen, unter Beweis stellen, dass unsere Lösung besser ist als das, was bisher im Markt ist. Gerade bei den Amerikanern findet dazu ein ganz hartes Benchmarking statt. Wir müssen versuchen, immer wieder eine Steigerung gegenüber dem zu bringen, was schon im Markt ist. Wenn also eine bestehende Lösung eine Genauigkeit von 93 Prozent erreicht, dann müssen wir 94 Prozent erreichen. Das ist die besondere Herausforderung in der Medizin, weil es dort eben um Leben und Tod gehen kann.
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AI.Hamburg ist Gründungsmitglied der AI4Germany Initiative, bei der sich führende Initiativen im Bereich künstliche Intelligenz (KI) zusammenschliessen, um die lokale Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland aktiv bei der Anwendung von künstlicher Intelligenz zu unterstützen – und damit Deutschland ins KI-Zeitalter zu begleiten. Ganz konkret fördert AI.Hamburg den breiten Einsatz von künstlicher Intelligenz und insbesondere des maschinellen Lernens in Unternehmen im Norden durch Erfahrungsaustausch und Wissensvermittlung auf einschlägigen AI Events wie dem AI InfoBreakfast und verschiedenen Workshop-Formaten.
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