Es gibt Geschichten, die klingen einfach unglaublich. Die von Textile One aus Hessen ist so eine. Es ist März 2020: Deutschland geht aufgrund der Corona-Pandemie in den ersten Lockdown. Und damit viele Betriebe, die die beiden Frankfurter Christian Yaglioglu und Sascha Fussmann mit ihrer Firma Textile One bis dahin mit Schutz- und Berufskleidung ausgestattet hatten: Gastronomie, Einzelhandel, Industrie. „Wir bekamen eine Absage nach der nächsten“, erinnert sich Fussmann. Offen gibt er zu: „Wir standen mit dem Rücken an der Wand“.
Als schließlich ein sehr großer Auftrag wegfällt, ist klar: Wenn sie ihre Firma retten wollen, müssen sie handeln – und zwar schnell und mit dem, was vorhanden ist. Ein Wochenende lang setzen sich die beiden Geschäftsführer zusammen und überlegen, wie sie ihre Produktion verändern können. Es ist die Zeit, als sich die Corona-Nachrichten überschlagen. Diese vermelden, dass es – auch für Ärzte und Pfleger – zu wenig Atemmasken gibt. Masken sind zwar auch im Sortiment von Textile One, weil sie schon vor der Pandemie auch Krankenhäuser und Pflegeheime mit Schutzkleidung ausgestattet hatten. Doch bis dahin sind sie ein reines Nebenprodukt. Doch Fussmann und Yaglioglu wissen: Genau diese Nische ist ihre Chance.
Viele witterten damals mit Masken das große Geschäft. Doch die beiden Hessen haben einen entscheidenden Vorteil gegenüber den meisten Konkurrenten, die aus dem Boden schießen: Seit 2008 konnten sie sich bereits ein funktionierendes internationales Netzwerk aus Vertrieblern und Gesellschaftern aufbauen. Zudem testeten und qualifizierten sie bereits über diesen Zeitraum ihr Produkt. Kurz: Sie konnten anders als viele andere Qualität anbieten und genossen bereits das Vertrauen von Kunden im Care-Bereich.
Nervös waren die beiden Unternehmer dennoch: „Wir hatten die Schlagzeilen im Ohr, dass die Bundesregierung fünf Millionen Masken bestellt hatte, die alle Schrott waren. Der Druck war riesig, und wir wussten, welche Verantwortung wir da übernahmen“, erzählt Fussmann. Probleme gab es zahlreiche. Und viele von ihnen fingen bereits am Produktionsort China an. „Das war wie wilder Westen“, erinnern sich die beiden Unternehmer. „Unsere Mitarbeiter mussten teilweise auch nachts die Ware in den Fabriken bewachen, damit kein anderer Anbieter die hochwertigen Masken abgreift. Das fühlte sich so an als wären Masken das neue Gold“, sagt Fussmann.
Abenteuerlich ging es weiter. Denn die Produktion ist das eine – die Ware muss auch nach Deutschland. Doch kaum ein Flugzeug oder Schiff ist im März überhaupt noch im Einsatz. Die Preise explodieren. Statt 2-5 Euro pro Kilo liegen die Frachtkosten plötzlich bei 19 Euro. Zu dem Zeitpunkt baut die Bundesregierung über die Lufthansa eine Luftbrücke von China nach Deutschland. Das Glück: Die Airline ist ein langjähriger Kunde von Textile One, es bestehen gute Beziehungen. Das Unternehmen bekommt die Möglichkeit, auf der Route von China nach Deutschland mitfliegen zu dürfen. Doch auch hierzulande gibt es Hindernisse: Denn viele Spediteure sind in Kurzarbeit, viele LKWs sind stillgelegt. Wieder hilft Yaglioglu und Fussmann ihr Netzwerk. Sie kennen einen Obst- und Gemüsehändler mit LKWs. Kurzerhand ordern die beiden Unternehmer alle seine LKWs und lassen deutschlandweit Masken ausfahren.
Heute beliefern die Hessen nicht nur im ganzen Land Krankenhäuser unter anderem mit hochwertigen und zertifizierten FFP2-Masken und weiterer Schutzkleidung, sondern auch Großkonzerne, Behörden oder Schulen. Die Kunden reichen von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern über die Bundesbeschaffung Österreich bis hin zum Deutschen Bundestag, der kürzlich 13.000 Masken bei den Hessen geordert hat. Yaglioglu und Fussmann verfolgen dabei eine langfristige Perspektive: Sie arbeiten derzeit an einer digitalen Plattform, die es Berufen aus allen Branchen ermöglicht, schnell, effizient und individuell anpassbare Berufs- und Schutzkleidung zu beziehen. Und sie überlegen, wie sie die Maskenproduktion wieder mehr nach Deutschland bringen können.
Es ist eine rasante Erfolgsgeschichte eines mittelständischen Unternehmens aus dem Herzen Deutschlands. Eine Geschichte, die in der Krise einerseits Mut macht und die zeigt: Erfolg kommt nicht über Nacht – sondern ist harte Arbeit und braucht Kreativität. Und manchmal auch wenig Schlaf.