Die Digitalisierung ist der größte Umsturz, den die Menschheit je gehabt hat. Nichts wird so bleiben, wie es war. Weder in der Geschäftswelt noch in der persönlichen Welt. Alles wird anders. Anders. weil die zeitgleiche, umfassende, weltweit umspannende Information und dieser weltweite Dialog, der dadurch möglich wird, eine totale Veränderung der Beziehungen der Menschen und der Politik und der Wirtschaft und der Wissenschaft bedeutet. Dem kann man sich nicht entziehen. Das ist wie aller technischer Fortschritt. Es ist wenig sinnvoll, sich gegen die Digitalisierung zu stemmen, wie gegen die Eisenbahn oder das Telefon oder das Radio und das Fernsehen.
Klaus von Dohnanyi im Gespräch mit HANSEVALLEY-Chefredakteur Thomas Keup.
'Alle Unternehmen werden in einer digital-vernetzen Welt Nachbarn', brachten Sie anläßlich des Neujahrsempfangs des "IT Executive Club" am 12. Januar d. J. im Norddeutschen Regattaclub auf den Punkt. Sie sprechen von einer Veränderung der Kommunikation, die eine Veränderung der Gesellschaft zur Folge hat. Was meinen Sie damit?
Es ist eine ganz tiefgreifende Veränderung der Kommunikation. Ursprünglich redeten die Menschen miteinander, indem sie sich in die Augen sahen. Jetzt ist man in der Lage, mit einem chinesischen Geschäftspartner oder mit einer Freundin in Tokyo zeitgleich zu korrespondieren, nicht nur, in dem man miteinander redet, man kann sich auch per Skype sehen. Man überwindet alle Distanzen, in denen Menschen miteinander gelebt haben. Das verändert die menschlichen Beziehungen, verändert die Unternehmen, verändert aber auch die Politik. Die Digitalisierung ist der größte Umsturz, den die Menschheit je gehabt hat.
Olaf Scholz mahnte immer wieder unermüdlich und in klaren Worten, dass die Digitalisierung alle Bereiche unserer Gesellschaft umfassen wird und wir es uns nicht leisten können, abzuwarten. Wie nehmen Sie mit ihrem Erfahrungsschatz die Entwicklung der Digitalisierung wahr, welche Themen faszinieren und welche Themen verängstigen Sie ganz persönlich?
"Uns fehlt die Infrastruktur für die Geschwindigkeiten"
Es ist ein vitales Element der Konkurrenz geworden. Man kann sich dem schon deswegen nicht entziehen, weil man in der weltweiten Konkurrenz zurückfallen würde. Das ist das, was auch Olaf Scholz und alle, die sich mit dem Thema befassen, beschäftigt. Deutschland ist in einer Beziehung sehr gut. z. B. bei der Umsetzung von Industrie 4.0. Auf der anderen Seite fehlt uns noch die notwendige technische Infrastruktur, um die erforderlichen Geschwindigkeiten der Kommunikation über das digitale Netz zu ermöglichen.
"Die wirklich guten Leute haben of gar keine Ausbildung"
Wir kommen auch deshalb nicht so gut damit zurecht, weil wir ein hierarchisches System haben, in dem z. B. in der Politik Beförderungen nach bestimmten Grundsätzen der Ausbildungsformalitäten entschieden werden. Die wirklich guten Leute im digitalen Handwerk kommen oftmals aus ganz anderen Ausbildungen oder haben gar keine Ausbildung - und sind trotzdem mit die besten Leute. Da kommt der deutsche Staat natürlich nicht mit voran, weder in der Beurteilung der Befähigung noch in der entsprechenden Bezahlung im Wettbewerb mit der Wirtschaft.
"Kinder nicht zu früh offen am Netz operieren lassen"
Mich besorgt, dass eine so totale strukturelle Veränderung in der Kommunikation auch Nebenfolgen hat, die man nicht übersehen darf. Es gibt Warnungen von klugen Pädagogen, die sagen, ihr dürft die Kinder nicht zu früh am Netz operieren lassen. Sie werden Fähigkeiten der Empathie, der sozialen Zusammenhänge nicht mehr richtig lernen. Und dann gibt es Probleme des Datenschutzes. Es gibt nichts in dieser Welt, dass neben seinen positiven Seiten nicht auch negative Folgen hätte und Probleme aufwerfen würde. Um die müssen wir uns auch kümmern.
"Eine wahrgenommene Eigenverantwortung ist die Rettung vor einer Vermassung durch die digitalisierte Welt"
Politisches Engagement findet in engen Systemgrenzen von Parteien und Karrieren statt. Unsere Bürgergesellschaft interessiert sich vor allem für eine lebenswerte Stadt. Welche Impulse und Initiativen bedarf es, dass wir in Zeiten digitaler Verunsicherung nicht nur Klientelgruppen in der politischen Willensbildung von Parlamenten wiederfinden?
Die Beratung innerhalb der Volksparteien findet in einem relativ geschlossenen Kreis mit relativ festen Überzeugungen statt - und wird oft auch mit einem recht begrenzten Informationshorizont geführt. Die Politik verändert sich natürlich total. Sie sehen gegenwärtig, dass in den USA der Präsident keines der klassischen Informationsmittel der Politik überhaupt noch ernst nimmt, geschweige denn bedient. Ihn interessieren nicht Gespräche mit den großen Zeitungen, die eine Auflage von einer halben Millionen haben, er twittert und erreicht fast 50 Mio. Follower.
"Manch altes Gebäude wird dem Sturm nicht gewachsen sein"
Das verändert die Politik, das verändert auch die Chancen in der Politik. Ich glaube, dass wir dort auch einen tiefgreifenden Wandel in der Parteienstruktur bekommen, vielleicht auch in der Demokratie und das wir uns intensiver als bisher bemühen müssen. die Stabilität der Demokratie gegenüber diesen neuen Veränderungen zu sichern - und die Demokratie deswegen auch umzubauen. Manches, was heute als altes Gebäude steht, wird dem Ansturm der neuen digitalen Welt nicht gewachsen sein.
Es gibt verschiedene gesellschaftliche Möglichkeiten, sich mit dem Status Quo von Unsicherheit oder Unzufriedenheit auseinanderzusetzen: z. B. durch Anpassung, den Ausstieg oder die Rebellion. Welchen Weg empfehlen Sie Menschen, die sich mit der für sie z. T. dramatisch verändernden Welt nicht zufrieden geben und etwas verändern wollen?
Mein erster Tipp ist, dass jeder wissen muss, was er für sich selbst braucht und will, und das muss er lernen. Und wenn sich die Welt verändert muss er lernen, wie er in der Welt so sein kann, wie er gern möchte. Das wird eine andere Welt sein, eine digital bestimmte Welt. Für mich selbst gilt, dass ich das Lesen nicht lasse und nicht bereit bin, mit den Überschriften in den Apps eines iPhones zu befriedigen.
"Wahrgenommene Eigenverantwortung ist die Rettung"
Das werde ich nicht tun, sondern ich versuche, mich in der Tiefe zu informieren. Anders mögen das anders sehen, aber das hängt davon ab, wie sie sich selbst verstehen. Mein Rat ist an alle, sich selbst zu betrachten und zu überlegen, was kann ich, was will ich, was will ich tun, was muss ich dafür lernen - also: eine wahrgenommene Eigenverantwortung ist die Rettung vor einer Vermassung durch die digitalisierte Welt.
Die Metropolregion ist ein traditionsreicher Produktionsstandort mit Schiff- und Flugzeug-, Anlagen- und Maschinenbau. Industrie 4.0 bietet mit digital-vernetzten Produktions- und Lieferprozessen sowie Echtzeitdaten neue Chancen zur Entwicklung weltweit erfolgreicher Produkte? Reicht das aus Ihrer Sicht aus oder wird die Industrie in Europa zwischen den USA und China zerrieben?
Das hängt sehr davon ab, wie wir damit umgehen. Die Vielfalt in Europa - die auch niemand einebnen sollte und aus Brüssel heraus versuchen sollte, alles über einen Kamm zu scheren - hat dazu geführt, dass die letzten Jahrhunderte europäische Jahrhunderte waren. Europa hat eine große Chance, wenn wir uns auf das besinnen, was wir können, wenn wir die Dinge, die im großen Stil gemacht werden - wie z. B. den Airbus -, gemeinsam machen. Und wenn wir zugleich in Hamburg, in Lübeck, in Osnabrück, in Frankfurt, in Stuttgart - getragen durch gute kommunale Politik - unsere Kräfte entfalten. Das darf durch eine europäische Einebnungspolitik nicht gestört werden.
In den digitalen Angeboten von Amazon, Apple, Facebook oder Google verbirgt sich bereits künstliche Intelligenz zum Erkennen von Befehlen und Übersetzen von Sprachen. Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie in der Nutzung von Artifical Intelligence - insbesondere für den internationalen Dienstleistungsstandort Hamburg mit zehntausenden Arbeitsplätzen?
Die Artifical Intelligence ist ein nächster Schritt und wer sich dagegen versucht zu stemmen, ist auch da genauso verloren, wie das mit den ersten Computern war. Es kommt drauf an, dass man das, was man an Vielfältigkeit in Europa hat, auch fördert. Wir brauchen dazu aber eine starke Dezentralisation in Europa. Wir brauchen starke Bürgermeister, starken Kommunen, starke dezentrale Wirtschaftspolitik. Die Kreativität des Landes und die Kreativität Europas kommt aus der Vielfalt und nicht aus der Einheit.
Unsere zentrale Ausbildung mit Lehrling, Geselle und Meister stammt aus dem 13. Jahrhundert. Wir haben eine erfolgreiche Entwicklung der Universitäten seit dem 19. Jahrhundert. Wie kann ein lineares Bildungssystem für eine flexible und individuelle Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts geöffnet und erfolgreich weiterentwickelt werden?
Wir haben ein Bildungssystem, das einen großen Erfolg hinter sich hat. Sie können den deutschen Erfolg des vergangenen Jahrhunderts nicht denken ohne ein erfolgreiches Bildungssystem. Jetzt ändert sich natürlich viel. Ich glaube man muss natürlich dafür sorgen, dass auch in den Schulen digitale Instrumente genutzt werden. Aber ich würde das nicht zu früh machen. Ich glaube, Kinder machen genug mit dem Smartphone, wenn sie 3 Jahre alt sind und man braucht es ihnen in der Grundschule nicht auch noch beizubringen.
Zwischen 10 und 20 Mio. Arbeitsplätze könnten durch Digitalisierung und Transformation in Deutschland in den nächsten Jahren wegfallen. Die Herausforderung wird mit einem bedingungslosen Grundeinkommen als Chance für neue, Sinn stiftende Wertschöpfung diskutiert. Wie stehen Sie zu dem von DM-Gründer Götz Werner in die Diskussion gebrachten Modell?
Ich bleibe zunächst einmal sehr skeptisch. Ich glaube, dass der Mensch auch eine Anregung braucht, um zu arbeiten. Wenn man ihm das Arbeiten sozusagen wegfinanziert, weil er das gar nicht mehr machen müsste, wird das weder zum Frieden in der Gesellschaft beitragen noch zur Beseitigung der Unterschiede. Aber es ist ein vielfältiges und von sehr intelligenten Menschen vorgetragenes Konzept und ich glaube, es wird immer weiter diskutiert werden und vielleicht eines Tages unausweichlich.
"In die Richtung lenken, in der sie einen guten Beruf finden"
Im Übrigen glaube ich nicht Ihre These von den 10 oder 20 Mio. Arbeitsplätzen. Aber es kommt jetzt schon darauf an, dass man die Arbeitsplätze die Bestand haben könnten, durch eine entsprechende Ausbildung fördert. Ich halte nicht soviel davon, dass so viele Leute an der Universität Kulturwissenschaften studieren, anstatt Informatik. Da muss man die Leute schon ein wenig mehr in die Richtung lenken, in der sie am Ende auch wirklich einen guten Beruf finden werden.
"Hamburg wird auf die Dauer ohne einen Schwerpunkt Wissenschaftsmetropole nicht erfolgreich überleben"
Hamburg ist geprägt von traditionellen Branchen, wie der maritimen Wirtschaft, der Transportlogistik, dem Groß-, Außen- und Einzelhandel. Die Dienstleistungen von Banken, Versicherungen und Medien unterlagen in den vergangenen Jahren erheblichen Umbrüchen. Wie gut ist Hamburg aufgestellt, um die kommenden Herausforderungen zu meistern?
"Hamburgs Zukunft liegt auf dem Land, nicht auf dem Wasser"
Ich glaube, wir haben da sehr große Lücken, die allerdings sehr schwer auszugleichen sein werden. Wir haben einen Trend, den Hamburg schwer gegenarbeiten kann, weil sich z. B. die Medien immer um die Hauptstädte drehen. Das 2. Problem ist natürlich die Frage nach die Zukunft der Industrien, die Sie beschrieben haben. Da macht Hamburg meiner Meinung nach einen Fehler, indem man die Bedeutung eines Wissenschaftsstandortes Hamburg noch immer unterschätzt.
"Hamburg wird ohne Wissenschaftsmetropole nicht überleben"
Ich habe 1983 in meiner ersten Übersee-Club-Rede gesagt: 'Hamburgs Zukunft liegt auf dem Land und nicht auf dem Wasser'. Ich bleibe auch bei der Überzeugung. Hamburg wird auf die Dauer ohne einen Schwerpunkt Wissenschaftsmetropole nicht erfolgreich überleben, gerade wenn die Chinesen jetzt ihre Seidenstraße über die Schiene ausbauen und ihren Schiffsverkehr z. T. nach Südeuropa lenken. An dieser Stelle sind wir noch nicht gut aufgestellt.
"Meiner Meinung nach ist das immer noch nicht genug"
Das führt natürlich auch dazu, dass wir z. B. bei Startups nicht vorn sind, sondern München oder Berlin. Und das führt auch dazu, dass wir bei anderen Schwerpunkten, z. B. bei Banken von Frankfurt überlagert werden, weil dort das Zentrum der Banken entstanden ist. Wir müssen hier mit Wissenschaft versuchen, voran zu kommen und Bürgermeister Scholz hat jetzt versucht, in diese Richtung etwas zu tun, aber nach meiner Meinung ist das noch immer nicht genug.
Der Erfolg unserer Stadt basierte bislang zu einem Großteil auf der weltweit geschätzten Verlässlichkeit - und dies über Generationen hinaus. Reichen in Zeiten digital beschleunigter Veränderungen und global forciertem Wettbewerb hamburgische und hanseatische Werte aus - und welche Werte empfehlen Sie den Hamburgern für die Zukunft?
Die Werte reichen aus, aber sie werden derzeit unterspült von den digitalen Medien. D. h., man macht andere Formen von Geschäft mit Leuten, die man nicht kennt und denen man nicht ins Auge sehen muss. Der "Ehrbare Kaufmann" in Hamburg, bei dem nicht mal ein Handschlag notwendig war und ein gegenseitiger Augenblick reichte, wird durch die großen Entfernungen von Geschäften und die immer größere Anonymität der Geschäfte nicht fortbestehen.
Es geht nicht darum, das wir neue Werte brauchen. Die große Frage ist, wie wir die alten Werte, mit denen Deutschland so gut gelebt hat, in einer digitalen Welt erhalten werden. Und da bin ich sehr skeptisch.
Hamburg@work wird sich als horizontales Digitalcluster aufstellen - mit dem Fokus auf die digital-vernetzte Stadt, auf die Smart City Hamburg. Welche smarten Konzepte und Modelle kennen Sie und/oder wünschen Sie sich für die Freie und Hansestadt?
Ich habe den Eindruck, dass die Stadt in diesem Punkt große Fortschritte gemacht hat, gut aufgestellt ist und auch bereit ist. sich für die Zukunft und die Veränderungen die entstehen, zu öffnen. Das ist eigentlich nur das Handwerkszeug. Die Inhalte, die damit verbunden sein sollten, die Frage der Wissenschaft, der Entwicklung der Stadt, die 8notwendig sind, sind eine andere Frage. Da sind wir auf dem allgemeinen, sozialen Sektor gut, aber ich glaube, dass wir auf dem Wissenschaftssektor noch großen Nachholbedarf haben.