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Disruption als Chance

Ein Einblick in die Welt der Technologie 4.0 mit Stefan Richter von freiheit.com


Lieber Herr Richter, Sie sind Gründer und CTO von freiheit.com, einem Technologieunternehmen im Herzen Hamburgs. Wollen Sie uns etwas zu Ihrem Werdegang erzählen?

Ich bin Stefan Richter, gelernter Ingenieur und Informatiker. Im Jahr 1983 habe ich meine Leidenschaft für das Programmieren entdeckt und wusste seitdem: Das möchte ich den Rest meines Lebens machen! In Folge gründete ich dann 1998 zusammen mit meiner Lebenspartnerin Claudia Dietze unser Unternehmen freiheit.com. Gemeinsam sind wir damals wirklich direkt in die Anfänge des Internets geraten, kurz bevor gegen Ende des Jahres 2001 die große Internet-Blase geplatzt ist.

Gemeinsam bauten wir neue Systeme auf – im Bereich Online-Reisebuchungen oder für den Online-Buchhandel. Das waren die Anfänge des E-Commerce: Wir haben also von Anfang an Kunden betreut, die mit dem Internet Geld verdient haben. So bauen wir seit zwanzig Jahren Plattformen und neue Geschäftsmodelle, die über das Internet funktionieren und auf Software basieren.

Sehen Sie hier auch die Zukunft der technischen Abläufe in Unternehmen und Firmen?

Ja, eindeutig. Alles was heute an Industrie existiert, wird in absehbarer Zukunft eine „Software-Industrie“ werden. So wird aus einer Autoindustrie, die bisher noch zum größten Teil aus Hardware oder Mechanik besteht, eine Rechnerplattform, auf der man Software installiert.

Wie würden Sie die Entwicklung der Technologie in den letzten zwanzig Jahren beschreiben?

Der Fortschritt, den wir ganz eindeutig überall sehen und der auch schon durch das sogenannte Moore’s Law vorhergesagt wird, ist die stetige Verdopplung der Rechenleistung von Prozessoren innerhalb von 18 Monaten.

Die Rechenkapazität, die dadurch verfügbar wird, ermöglicht die fortlaufende Bereitstellung neuer, technologischer Lösungen. Viele Innovationen, die bereits in den 50er Jahren erdacht wurden, aber aus technischen Gründen schlicht noch nicht machbar waren, können heute auf Basis der verfügbaren Rechenkapazitäten umgesetzt werden. Dazu gehört beispielsweise die Technik, die heute in selbstfahrenden Autos verwendet wird oder eben auch Artificial Intelligence.

Und welche Trends haben für Sie eine große Bedeutung?

Ein wichtiger Punkt für mich: die Digitalisierung von bislang nur analog verfügbaren Daten. Früher wurden alle wichtigen Notizen auf Papier festgehalten, später dann in schlecht strukturierten Word-Dokumenten – so konnte keine richtige Datenverarbeitung stattfinden. Aber schon seit circa zwanzig Jahren geht der Trend glücklicherweise dahin, Dinge in einer digital gut strukturierten Form zu speichern. So können die entstehenden Daten ganz anders verarbeitet und neue Muster gefunden werden. Diese tragen auf vielen Ebenen zur Lösung von Problemen bei, die vorher als schier unlösbar galten.

Können Sie näher auf diese Probleme eingehen?

Sicher, denn feststeht: Das, was wir alles mit Daten machen können, ist noch längst nicht wirklich erschlossen. Gerade in Europa beschäftigt uns das Thema des Datenschutzes im Moment ja sehr und wird durchaus kontrovers diskutiert. Durch die neuen Gesetze wird der Versuch unternommen, die Datenspeicherung zu verhindern. Der Begriff „Datensparsamkeit“ wird in diesem Zusammenhang häufig verwendet. Aus meiner Sicht ist das ein nicht wirklich guter Trend, da wir durch die sinnvolle Nutzung von Daten auch sehr viele der heutigen Menschheitsprobleme lösen könnten. Wenn beispielsweise mehr relevante Informationen digital gespeichert und abrufbar wären.

Krankendaten sind für mich hier ein treffendes und wichtiges Beispiel: Bei einer kontinuierlichen Speicherung könnten Krankheitsbilder von Menschen über die ganze Lebensdauer verglichen werden. Die sinnvolle und sichere digitale Speicherung bestimmter Parameter bei Blutuntersuchungen und von Diagnosen würde also mehr Spielraum für Vergleiche lassen – welche Patienten haben ähnliche Probleme, welche Lösungen kann es geben. Auch würden wir einen großen Schritt in Richtung der verbesserten Früherkennung von Krankheiten machen.

Bleiben wir beim Stichwort „digitale Patientenakte“. Warum glauben Sie, gab es hier noch keinen wirklichen, einheitlichen Durchbruch? Wenn man von bestimmten, bereits existierenden Apps wie Vivy absieht.

In vielen Köpfen ist nur das negative Bild der ständigen Überwachung verankert. Es muss also in Zukunft wirklich darüber nachgedacht werden, wie man diese Situation löst und vor allem in Europa die positiven Aspekte des Datensammelns und -speicherns über die negativen Aspekte stellt. Man sollte sich die positiven Punkte ins Gedächtnis rufen – die Lösung von gesellschaftlichen Problemen, die Rettung von Menschenleben und ganz allgemein die Vereinfachung vieler Prozesse.

Aber auch im Handel wird die Technologie 4.0 einige einschneidende Veränderungen mit sich bringen. In welche Richtung geht hier die Entwicklung?

Gerne würde ich als Beispiel hierfür den Handel in China nennen, wo ich erst vor Kurzem etwas Zeit verbracht habe. Dort hatten wir die Gelegenheit, uns den Retail-Handel anzuschauen. So hat Alibaba dort die „Hema Stores“ aufgebaut: Shops, in die man gewohnt hineingehen kann, die aber ein Online- und Offline-Erlebnis kombinieren. Das bedeutet: Ich scanne vor Ort Produkte mit einer App, die mir dann im Anschluss nach Hause geliefert werden. Und das sogar innerhalb eines ziemlich kleinen Zeitfensters von rund 30 Minuten, wenn man in einem Radius von circa drei Meilen wohnt.

Eine andere Möglichkeit ist zudem, die Einkäufe einfach direkt per App zu bestellen. Beide Möglichkeiten werden dort tatsächlich von fast allen Menschen intensiv genutzt, normale Supermärkte werden kaum noch genutzt. Es lässt sich auch eine vollständige Digitalisierung und Technologisierung der Lieferketten beobachten: So sind die Lieferanten in Shanghai auf Elektro-Scootern unterwegs. An diesem Punkt müssen wir in Deutschland anknüpfen. Es würde hier ja durchaus auch funktionieren.

Wir brauchen also mehr Mut in Deutschland, um nicht den Anschluss zu verlieren?

Ja, definitiv. Wir Deutschen sind oft leider einfach zu skeptisch. Wir fragen uns: Brauchen wir das denn wirklich? In vielen anderen Ländern, wie auch den USA, ist die Stimmung und die Dynamik bezüglich der „Digitalisierung aller Lebensbereiche“ ganz anders. Die Folge ist, dass es hierzulande nun viele erdachte Innovationen gibt, deren Entwicklung einfach nicht vorangeht beziehungsweise nicht durchgesetzt werden kann – wie die bereits erwähnte digitale Patientenakte.

Die künstliche Intelligenz ist einfach ein Bereich, in dem man mit Daten arbeiten muss. Wir in Europa legen uns hier aber Steine in den Weg und können deshalb nicht ganz mithalten. Das Absurde ist, dass in den Medien häufig vom durch die KI ausgelösten Jobabbau die Rede ist. Wir leben aber in einer alternden Gesellschaft. Wir brauchen künstliche Intelligenz, um mit immer weniger Menschen weiter Produktivitätssteigerungen erzielen zu können. Denn das ermöglicht letztendlich den Wohlstand von Vielen und ist unsere einzige Chance, in Zukunft eine massive Altersarmut zu verhindern.